Kinderwunsch und Schwangerschaft bei psychischer Erkrankung
Eine Information für Betroffene und Angehörige
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Psychische Erkrankung und Schwangerschaft
Die meisten psychischen Störungen (Psychosen, wiederkehrende Depressionen und Manien, Angststörungen, Zwangsstörungen) beginnen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, also in einer Lebensphase, in der sich Frauen mit der Frage der Familienplanung auseinandersetzen. Bei vielen dieser Erkrankungen ist eine langfristige Medikation als Vorbeugung für weitere Krankheitsepisoden erforderlich. Und genau das führt bei betroffenen Frauen, aber auch ihren Partnern, manchmal zu erheblichen inneren Konflikten: Auf der einen Seite gilt die allgemeine Regel, dass man in der Schwangerschaft möglichst keine Medikamente einnehmen soll, um das Ungeborene nicht zu schädigen. Auf der anderen Seite steht die Notwendigkeit der vorbeugenden Behandlung und vielleicht sogar die Erfahrung, dass ein Absetzversuch zu einer erneuten Krankheitsphase, einem Rezidiv, geführt hat. Nicht wenige Frauen machen die leidvolle Erfahrung einer Wiedererkrankung, wenn sie – nicht selten sogar auf ärztlichen Rat – eine bis dahin wirksame Medikation absetzen, weil sie davon ausgehen, dass ihr Kinderwunsch nur ohne Medikamente zu realisieren ist. »Mit diesen Medikamenten dürfen Sie nicht schwanger werden« ist ein immer wieder zitierter ärztlicher Satz.
Im Vordergrund stehen Ängste wegen möglicher Auswirkungen der Medikation auf das ungeborene Kind; gleichzeitig aber machen sich die Frauen Sorgen, dass Stress und Krankheitssymptome negative Auswirkungen auf das Ungeborene haben könnten. Nicht immer seriöse Publikationen in der Laienpresse und im Internet zu Fehlbildungen oder Langzeitfolgen wie Autismus aufgrund von Medikamenteneinnahme tragen erheblich zur Verunsicherung bei.
Was kann man Ihnen raten?
Sollten Sie die Medikamente absetzen, um auf der »sicheren Seite« zu sein? Ist eine Umstellung erforderlich, wenn Sie schwanger sind bzw. schwanger werden möchten? Wen können Sie fragen in dieser schwierigen Situation?
Wie immer gibt es keine pauschale Antwort auf alle diese Fragen; es gilt immer die Abwägung im Einzelfall. Aber eines kann man ganz klar sagen: Die mittlerweile für die meisten psychischen Störungen vorhandenen Empfehlungen der psychiatrischen Fachgesellschaft (DGPPN) zu den Behandlungsstrategien und zur Nutzen-Risiko-Abwägung in der Schwangerschaft und Stillzeit rechtfertigen keinesfalls die Aussage, »mit Medikamenten dürfen Sie grundsätzlich nicht schwanger werden«. Sollte also jemand so etwas sagen, folgen Sie bitte nicht einfach der Empfehlung, alle Medikamente abzusetzen. Informieren Sie sich weiter, denn möglicherweise haben Sie es mit jemandem zu tun, der selbst mit seinem Wissen nicht auf der Höhe der Zeit ist. Andererseits gibt es unterschiedliche umfangreiche Erfahrungen zu Medikamenten in der Schwangerschaft, so dass die Umstellung einer Behandlung auf besser erprobte Mittel manchmal Sinn machen kann. Aber auch dies erfordert spezielle Kenntnisse auf dem Gebiet.
Das Prinzip der Nutzen-Risiko-Abwägung
Bei der Medikamentengabe in der Schwangerschaft gilt das Prinzip der Nutzen-Risiko-Abwägung. Damit ist gemeint, dass auf der einen Seite die mit einer Medikamentengabe verbundenen Risiken für das Kind in die Waagschale zu werfen sind. Auf der anderen Seite sind die positiven Effekte bzw. der Nutzen der Medikation für die psychische Stabilität der Mutter zu berücksichtigen und umgekehrt die eventuellen negativen Auswirkungen beim Absetzen (wie etwa Schlafstörungen, Wiederauftreten von Krankheitssymptomen bis hin zur Notwendigkeit der stationären Behandlung). Das Ergebnis der Nutzen-Risiko-Abwägung ist in der Regel ein Kompromiss, denn absolute Sicherheit kann es selbst bei sorgfältigster Abwägung aller Aspekte nicht geben.
Allerdings muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass auch ohne die Einnahme von Medikamenten Fehlbildungen beim Kind möglich sind (Risiko in der Allgemeinbevölkerung ca. 3 %) und dass andere Einflüsse (wie etwa Alkoholkonsum) in der Schwangerschaft sehr viel gefährlicher sein können.
Erkrankung und Medikament – beides von Bedeutung
Die eigentliche Erkrankung tritt manchmal in den Hintergrund, wenn es um die Frage der Schwangerschaft geht. Dabei ist es ganz wichtig, sich auch Gedanken zu machen, ob die Erkrankung möglicherweise Einschränkungen mit sich bringt, die bei der Mutter einen besonderen Unterstützungsbedarf erforderlich machen. Und ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Gefahr der erneuten Erkrankung nach der Entbindung, die je nach Erkrankung unterschiedlich hoch sein kann –bei unbehandelten bipolaren Störungen etwa erleiden bis zu 70 % einen Rückfall. Aber auch die Art des Medikamentes ist wichtig: Es gibt Substanzen, die keinesfalls in einer Schwangerschaft eingenommen werden dürfen und bei denen auf jeden Fall eine Umstellung erforderlich ist, und andere, bei denen kein Zusammenhang mit Entwicklungsstörungen bekannt ist.
Grundsätzlich angesagt: Ruhe bewahren
Bei allen Medikamenten, die in der Behandlung psychischer Störungen angewendet werden, sollte man zunächst einmal Ruhe bewahren – selbst bei Feststellung einer ungeplanten Schwangerschaft. Alleine das Medikament ist nie ein Grund für eine ganz abrupte Umstellung oder gar das vollständige Absetzen. Bei einzelnen Substanzen, z.B. bei der Valproinsäure, sollte man sich aber möglichst bald zwecks Umstellung beraten lassen.
Embryotox als verlässliche Informationsquelle
Die »Beratungsstelle für Embryonaltoxikologie« an der Charité in Berlin ist eine sehr gute Informationsquelle. Es gibt eine ausführliche Internetseite (www.embryotox.de), wo fast alle Substanzen, die in der Behandlung psychischer Erkrankung eingesetzt werden, dargestellt sind. Auch Informationen zu anderen Gruppen von Medikamenten, wie etwa Antibiotika, Mittel gegen hohen Blutdruck oder Asthma, sind dort abrufbar.
Bei Embryotox werden auch telefonische Beratungen durchgeführt, sowohl für Ärzte als auch Patientinnen. Man schätzt es dort besonders, wenn Ärztin/Arzt und Patientin gemeinsam anrufen.
Auf der Embryotox-Internetseite gibt es weiterhin Formulare, um über die eigene Schwangerschaft zu berichten. Auch hierüber kann eine Beratung gestartet werden. Andererseits ist die Dokumentation von Schwangerschaften unter Medikation auch für Embryotox sehr wichtig, weil hierüber neue Erkenntnisse zur Sicherheit von Medikamenten gewonnen werden können. Nur so können die Bewertungen von Medikamenten immer verlässlicher werden.
Was ist noch wichtig für die Vorbeugung
Die Medikation hat einen wichtigen Stellenwert bei der Vorbeugung einer Erkrankung, insbesondere in der Zeit nach der Entbindung. Für manche Störungen ist deshalb sogar eine spezielle »postpartale Prophylaxe« zu empfehlen. Damit ist gemeint, dass direkt nach der Entbindung die Dosis deutlich erhöht wird, und zwar in einen Bereich, der bei einer akuten Erkrankung erforderlich wäre. Die Planung der postpartalen Prophylaxe ist Teil einer Gesamt-Geburtsplanung (im Fachjargon Peripartales Management), die Sie am besten mit Ihrem Psychiater/Ihrer Psychiaterin vornehmen. Dazu gehören auch die Einbeziehung von Geburtsklinik und Hebamme und die vorbereitende Weitergabe von Informationen an diese.
Aber nicht nur die Medikation ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, sondern auch viele andere Aspekte, die zur psychischen Stabilität der Mutter beitragen können. Dazu gehören beispielsweise die Sicherstellung von ausreichend Schlaf und die »Reizabschirmung« (also die Abschirmung vor Belastungen, vor allzu viel Besuch, vor sonstigem Stress nach der Entbindung). Aber auch die Organisation von möglichst viel Unterstützung durch Partner, Familie und soziales Umfeld sowie die Vorbesprechung des Stillens.
Mittlerweile gibt es fast überall Netzwerke wie „Frühe Hilfen“, über die Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten im Umkreis und Kontaktadressen zu erhalten sind.
Werden Sie zur Expertin für Ihre Erkrankung
Bei allen Entscheidungen rund um die Entbindung sollten Sie mitentscheiden, so wie es die Behandlungsleitlinien (www.awmf.org) ausdrücklich vorsehen. Um an diesem Prozess der »partizipativen Entscheidungsfindung« sinnvoll mitwirken zu können, ist es wichtig, dass Sie die Expertin für Ihre Erkrankung sind. Vielleicht haben Sie im Rahmen einer stationären Behandlung schon einmal eine »Psychodedukation« mitgemacht, also wichtige Dinge über Ihre Erkrankung gelernt (wie etwa die Notwendigkeit von regelmäßigem Schlaf bei bipolaren Störungen). Auf jeden Fall ist es sinnvoll, sich weiter zu informieren (z. B. über Selbsthilfeliteratur oder Selbsthilfegruppen) und andererseits auch die eigenen Erkenntnisse darüber, was Ihnen guttut und was nicht, sorgsam zu sammeln.
Weiterführende Informationen:
Rohde A, Dorsch V, Schaefer C (2015) Psychisch krank und schwanger, geht das? Ein Ratgeber zu Kinderwunsch, Schwangerschaft, Stillzeit und Psychopharmaka. Kohlhammer, Stuttgart.
www.embryotox.de: Interseite des Institutes für Pharmakovigilanz und Embryonaltoxikologie an der Charité in Berlin
www.fruehehilfen.de: Internetseite des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH)