Fehlgeburt Totgeburt

Psychisches Befinden nach einer Fehl- oder Totgeburt

Eine Information für Betroffene und Angehörige

Der Verlust eines Kindes stellt in der Regel für die betroffenen Eltern und besonders für die Frauen eine erhebliche psychische Belastung dar.

Häufigkeit

Fehlgeburten sind nichts Ungewöhnliches; etwa 10-20 % aller Schwangerschaften enden in einer frühen Fehlgeburt bis zur 12. Schwangerschaftswoche (SSW). Späte Fehlgeburten zwischen der 12.-22. SSW kommen hingegen nur in 1-2 % der Fälle vor. Totgeburten ab der 23. SSW (bzw. ab einem Gewicht des Kindes von 500 g) sind noch seltener (ca. 0,4 %), allerdings aufgrund der Nähe zum errechneten Geburtstermin besonders tragisch. Unabhängig von der Schwangerschaftswoche kann ein Schwangerschaftsverlust für die einzelne Frau bzw. das Paar eine katastrophale, man könnte auch sagen traumatische Erfahrung sein.

Reaktionen und Verarbeitung

Verluste können von Frauen und Männern sehr unterschiedlich verarbeitet werden. Bereits die erste Fehlgeburt kann sehr belastend sein, auch wenn dies von medizinischer Seite häufig noch keinen Grund zur Besorgnis darstellt. Das betroffene Paar muss einen Weg finden, sich von seinen Gedanken und Plänen in Bezug auf das Kind, die sich mit Eintritt der Schwangerschaft entwickelt haben, wieder zu verabschieden.

Beeinflusst sind diese Gedanken und Pläne sicherlich von der Länge und Intensität des Kinderwunsches. Ist die Schwangerschaft lange ersehnt oder Ergebnis einer Kinderwunschbehandlung, dann ist die Enttäuschung oft besonders groß. Auch spielt es eine Rolle, ob die Schwangerschaft geplant oder ungeplant eingetreten ist. Bei ungeplanten Schwangerschaften findet häufig eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage statt, ob die Schwangerschaft fortgesetzt oder abgebrochen werden soll. Kommt es dann nach der Entscheidung für das Kind zu einer Fehl- oder Totgeburt, verspüren die Frauen möglicherweise Schuldgefühle, als hätten sie durch ihre anfängliche Ablehnung die Fehl- oder Totgeburt mitverursacht. Das Kind zu verlieren, für das man sich so bewusst entschieden hat, kann besonders schmerzlich sein.

Sind bereits mehrere Verluste aufgetreten, ist die seelische Belastung für die Betroffenen in der Regel sehr ausgeprägt. Nicht selten stellen Frauen dann ihren Körper und ihre Fortpflanzungsfähigkeiten generell infrage, aber auch Männer zweifeln an ihrem Erbgut. Die Zweifel an der eigenen Gesundheit bzw. „Funktionsfähigkeit“ kann sehr lange anhalten und relativiert sich meist erst, wenn eine Folgeschwangerschaft gut ausgeht.
Schwangerschaftsabbrüche in der Vorgeschichte (unabhängig vom Grund) können gerade in dieser Situation Schuldgefühle verstärkt hervorbringen.

Durch die heute üblichen pränatalen diagnostischen Maßnahmen (wie etwa hochauflösender Ultraschall mit Möglichkeit der Geschlechtsbestimmung, Erstellung von »Fotos« des Kindes etc.) wird bereits sehr früh in der Schwangerschaft die gefühlsmäßige Beziehung zum Kind gefördert, was den Verlust unter Umständen sehr viel schwerer machen kann. In unserer Arbeit mit Betroffenen nach Fehl- oder Totgeburten ist deutlich geworden, dass die Stärke der Trauer nicht unbedingt von der Schwangerschaftswoche abhängt, in der der Verlust aufgetreten ist, sondern vielmehr von den Gedanken und Wünschen, die mit diesem Kind verbunden sind.

Die Diagnose

Die Diagnose wird häufig als Schock erlebt. Dies kann sich schon bei drohender Fehl- oder Totgeburt ankündigen. Viele Frauen und ihre Partner erleben diese Zeit wie in einem Nebel oder einer Betäubung, so als würde ein Film ablaufen, der mit ihnen selbst nichts zu tun hat. All das sind Symptome der akuten seelischen Belastung, in der Fachsprache wird dafür der Begriff „Akute Belastungsreaktion“ verwendet. Anschließend können sich Gefühle wie Traurigkeit, Verzweiflung, Ängste und Ärger einstellen. Vielen Frauen macht dieses Wechselbad der Gefühle besonders zu schaffen. Diese Gefühle zeigen, dass ein einschneidendes Lebensereignis zu bewältigen ist, was eine Menge Kraft erfordert.

Die Geburt

Bis zur 14. Schwangerschaftswoche wird meist unter Vollnarkose eine Ausschabung vorgenommen. In der Regel kann die Frau die Praxis noch am gleichen Tag wieder verlassen. Nach der 14.–16. Schwanger­schaftswoche ist dieses Vorgehen nicht mehr möglich; die betroffenen Frauen müssen das Kind zunächst auf normalem Wege entbinden, meist unter dem Einsatz Wehen auslösender Mittel. Je nach Stadium der Schwangerschaft schließt sich daran evtl. noch eine Ausschabung an. Diese Geburt kann Stunden bis Tage dauern. Das Warten auf die Wehen und die Geburt und auch der Gedanke, die Belastung einer Geburt ohne die Aussicht auf ein lebendes Kind durchstehen zu müssen, kann als besonders schwer empfunden werden. Auf der anderen Seite zeigt die Erfahrung, dass dieser schwierige Weg die Möglichkeit eröffnet, sich vom Kind bewusst zu verabschieden und damit einen guten Trauerprozess zu beginnen. Auf Dauer würde es mehr Kraft kosten, den Verlustschmerz und die Enttäuschung zu verdrängen als sich diesen Gefühlen sofort zu stellen.

Wieder zu Hause

Eltern, die ein Kind in der Schwangerschaft verlieren, erleben eine längere Zeit der Trauer und benötigen ihre Zeit, um damit fertigzuwerden. Die psychischen Reaktionen nach einer Fehlgeburt oder Totgeburt können sehr unterschiedlich sein, und die Trauer kann unterschiedlich lange andauern. Wichtig ist zu wissen, dass Trauer etwas Individuelles ist und bezüglich Intensität und Dauer nicht irgendwelchen Regeln unterliegt.

Nach dem Klinikaufenthalt wieder das Zuhause zu betreten, das die Frau vor ein paar Tagen noch als Schwangere verlassen hat, ist für viele Betroffene ein schwieriger und sehr emotionaler Moment. Es wird hier besonders deutlich, dass Planungen und Wünsche, wie z. B. das Einrichten des Kinderzimmers, plötzlich ihren Sinn verloren haben. Vielen kommt die Wohnung bzw. das Haus leerer vor als jemals zuvor.

Jeder braucht seine Zeit, um wieder in einen gewissen Alltag zu finden. Gerade in dieser Situation ist es wichtig, miteinander und mit Menschen im Umfeld zu sprechen, auch wenn dabei intensive Gefühle auftreten. All das gehört zur Bewältigung eines solchen Verlusterlebens dazu.

Was hilft?

Verschiedene Strategien können bei der Bewältigung des Verlustes hilfreich sein: Bei der Aufnahme in die Klinik und bei den weiteren Maßnahmen ist die Anwesenheit des Kindesvaters oder einer anderen engen Bezugsperson wünschenswert, wenn dies von der Frau als Entlastung und nicht als Belastung erlebt werden kann. Bei einer sehr späten Fehlgeburt bzw. Totgeburt ist dem Paar zu empfehlen, vom Kind Abschied zu nehmen (z. B. durch Ansehen und Halten des Kindes, Mitnahme von Fotos und Fußabdruck) und dem Kind einen Platz in der Familie zu geben (z. B. durch Namensgebung, Segnung, evtl. individuelle Bestattung). Die Erfahrung zeigt, dass es hilfreich ist, sich dem Schmerz in dieser Situation zu stellen und ihn nicht beiseite zu schieben. Dies kann die Trauer lindern und langfristig den Umgang mit dem Verlust erleichtern. Auch ist es gut, vorhandene Geschwister je nach Alter und Verständnisfähigkeit in das Geschehen einzubeziehen, mit ihnen über dieses Erlebnis zu sprechen und für Fragen der Kinder offen zu sein. Kinder haben in der Regel einen viel unbeschwerteren Umgang mit den Themen Tod und Trauer.

Familienangehörige sollten dem betroffenen Paar Zeit lassen für ihre Trauer. Als wenig hilfreich werden Sätze erlebt wie »Ihr seid noch jung, schaut nach vorne« oder »Am besten ist es, sofort wieder schwanger zu werden, dann ist alles vergessen«. Es kann auch ganz anders sein, dass nämlich sich bei einer erneuten Schwangerschaft die Trauer wieder in den Vordergrund drängt, vor allem, wenn man ihr nicht ausreichend Raum gegeben hat. Wie schon gesagt, Trauer ist individuell!

Viele Betroffene erleben es als entlastend, mit anderen Eltern zu sprechen, die Ähnliches erlebt haben. So etwas ist beispielsweise möglich durch Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe. Auch die Schwangeren­beratungsstellen begleiten Frauen und Paare nach Verlusterlebnissen. Bei längerdauernden depressiven Reaktionen kann eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll sein.

Literatur/Kontaktadressen/Selbsthilfegruppen

Lothrop H (2016) Gute Hoffnung – jähes Ende. Fehlgeburt, Totgeburt und Verluste in der frühen Lebenszeit.   Begleitung und neue Hoffnung für Eltern. Vollständig überarbeitete Neuausgabe. München: Kösel 2016.

Schäfer K (2008) Ein Stern der nicht leuchten konnte. Das Buch für Eltern, deren Kind während der Schwangerschaft starb. Books on demand

Wolter H (2017) Mein Sternenkind – Begleitbuch für Eltern, Angehörige und Fachpersonen nach Fehlgeburt, stiller Geburt oder Neugeborenentod. Salzburg: edition riedenburg

Wolter H (2019) Meine Folgeschwangerschaft – Begleitbuch für Schwangere, ihre Partner und Fachpersonen nach Fehlgeburt, stiller Geburt oder Neugeborenentod. Salzburg: edition riedenburg 2010.

Bundesverband verwaiste Eltern und Geschwister e.V. (www.veid.de)

www.initiative-regenbogen.de

www.maximilianprojekt.de

www.schmetterlingskinder.de

http://www.sternenkinder-eltern.de