Traumatisch erlebte Entbindung

Traumatisch erlebte Entbindung

Eine Information für Betroffene und Angehörige

Entbindungen können durchaus als „traumatisch“ oder auch „traumatisierend“ erlebt werden. Geburts­schmerzen, Ängste, Gefühle des Ausgeliefertseins und des Kontrollverlust sowie Hilflosigkeit können zu extremen Erfahrungen führen. Auch medizinische Eingriffe oder Komplikationen während des Geburts­vorgangs beeinflussen das Erleben. Aber auch wenn die Entbindung objektiv vielleicht gar nicht gefährlich gewesen und nichts Bedrohliches passiert ist, können Frauen diese trotzdem als traumatisch erleben. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bis zu 30% der Frauen die Entbindung als trauma­tisches Erleben beschreiben.

Vor allem die erste Geburt wird als besonders einschneidend beschrieben. Aus diesem Erleben entstehen aber nicht immer Folgestörungen. Viele Frauen können das Erlebte mit der Zeit gut verarbeiten, viele Erinnerungen verblassen nach und nach. Im Extremfall (ca. 1,5 bis 3 %) kann sich aber auch die Sympto­matik einer »Posttraumatischen Belastungsstörung« (PTBS) entwickeln, wie sie auch sonst nach schlimmen Lebenserfahrungen auftreten kann.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Ein Hauptsymptom der PTBS sind sogenannte „Flashbacks“, so auch bei der PTBS nach Geburten. Einzelne Sequenzen der Entbindungssituation laufen in der Folgezeit immer wieder wie ein Film vor den Augen ab. Das kann sowohl im wachen Zustand passieren als auch in Träumen. Diese Erinnerungen treten plötzlich und unkontrollierbar auf. Die Betroffenen fühlen sich so, als wären sie wieder in der Situation. Damit ein­her­gehen können körperliche Symptome wie Zittern, Schwitzen, Atemnot und Herzrasen. Diese „Nachhall­erinnerungen“ können ihre Intensität über Wochen, Monate und unbehandelt sogar über Jahre beibe­halten.

Ein anderes Symptom ist die Vermeidung von Situationen, die an die Geburt erinnern. So werden zum Bei­spiel Krabbelgruppen oder andere Müttergruppen gemieden, um nicht mit anderen Geburtserzählungen und eigenen Erinnerungen konfrontiert zu werden. Schlafstörungen, Rückzug aus sozialen Kontakten, Ängste und Reizbarkeit sowie Depressivität können ebenfalls auftreten.

Auch wenn nicht das Vollbild an Symptomen, die zur PTBS gehören, erfüllt wird, können bereits einzelne Symptome als sehr einschränkend und quälend erlebt werden.

Risikofaktoren

Eine Vielzahl von Faktoren kann dazu beitragen, dass sich nach einem traumatischen Erleben bei der Ent­bindung eine PTBS entwickelt. Depressionen in der Schwangerschaft, starke Ängste vor der Geburt, Kompli­kationen in der Schwangerschaft und eine Posttraumatische Belastungsstörung als Vorerkrankung sind beschriebene Einflussfaktoren. Unter der Geburt spielt das subjektive negative Erleben eine bedeutende Rolle ebenso wie eventuelle operative Eingriffe (wie Saugglocke oder Kaiserschnitt) und nicht zuletzt das Gefühl fehlender oder schlechter Betreuung. Gerade wenn sich Frauen während der Entbindung nicht verstanden gefühlt haben, wenn sie den Eindruck hatten, dass ihnen das Ausmaß der Schmerzen nicht geglaubt wurde, oder wenn sie sich alleine und hilflos ausgeliefert fühlten, können sich Symptome einer PTBS entwickeln. Auch unzureichende Bewältigungsstrategien, zusätzlicher Stress und Depressionen nach der Entbindung können einen Einfluss auf die Entwicklung dieser Symptome haben.

Schwangerschaft nach einer traumatisch erlebten Entbindung

Nach einer als traumatisierend erlebten Entbindung können sich die Frauen häufig eine weitere Schwanger­schaft und Geburt nicht vorstellen und entscheiden sich eventuell gegen weitere Kinder. Es kann aber auch der Wunsch entstehen, eine weitere Geburt „nochmals ganz anders, schön und selbstbestimmt“ erleben zu wollen. Die vorherigen Erinnerungen und Gefühle können jedoch in der Folgeschwangerschaft ganz plötz­lich und in voller Stärke wieder auftauchen. Die Angst, dass sich die schlimmen Erfahrungen der vorherigen Entbindung wiederholen könnten, ist meist stark ausgeprägt.

Um einer erneuten Hilflosigkeit zu entgehen, kann der Wunsch entstehen, die nächste Geburt „maximal kontrollieren“ zu wollen, z.B. indem ein geplanter Kaiserschnitt gefordert wird. Genauso gut kann die Angst vor medizinischen Eingriffen dazu führen, dass eine Frau lieber zu Hause oder in einem Geburtshaus entbinden möchte.

Behandlung

Auch wenn die Betroffenen Erinnerungen an die Entbindung und das Reden darüber eher vermeiden wollen, wissen wir, dass es wichtig ist, diese zu erzählen und zu besprechen. Durch das Reden und Worte finden werden wichtige Bewältigungsmechanismen aktiviert. Bei ausgeprägter und länger als wenige Wochen andauernder Problematik ist psychotherapeutische Hilfe erforderlich.

Bei der Traumatherapie werden sogenannte Distanzierungstechniken eingesetzt, die vor allzu großer Heftigkeit der Emotionen schützen und es so möglich machen sollen, nach und nach die traumatischen Bilder und Erinnerungen zu bearbeiten. Auch das detaillierte Aufschreiben der Geschehnisse kann zur Verarbeitung, aber auch zur inneren emotionalen Distanzierung beitragen. Bei ausgeprägter depressiver Begleitsymptomatik kann auch ein Antidepressivum sinnvoll sein.

Nach traumatischen Erfahrungen ist in einer Folgeschwangerschaft und während einer Folgeentbindung eine gute Begleitung durch Geburtshelfer und Hebammen unerlässlich. Ideal wäre z. B. eine Beleg­hebamme, die die gesamte Entbindung begleitet und vorher wie hinterher für die betroffene Frau ansprechbar ist. Da es wenig Beleghebammen gibt, kann auch die Begleitung durch eine andere erfahrene und vertrauensvolle Begleitperson hilfreich erlebt werden. Das könnte die eigene Mutter / Schwester / Cousine / Freundin sein oder eine sogenannte „Doula“ (eine Frau, die selber bereits Geburten erlebt hat und dazu ausgebildet ist, andere Frauen in dieser Situation zu begleiten). Hierbei geht es nicht um die fachliche Verantwortung, sondern um den zuverlässigen Beistand bei einer Entbindung, denn auch Partner können in so einer Situation überfordert sein. Die genauen Wünsche bzw. Befürchtungen und Ängste vor einer Entbindung besprechen zu können, ist ebenfalls sehr hilfreich, z. B. bei der Geburtsanmeldung in einer Klinik.

Weiterführende Informationen
Dorn A, Rohde A (2020) Krisen in der Schwangerschaft. Ein Wegweiser für schwangere Frauen und alle, die sie begleiten. Kohlhammer Stuttgart

Bloemeke V (2015) Es war eine schwere Geburt: Wie schmerzliche Erfahrungen heilen. Kösel-Verlag  München

Rohde A (2014) Postnatale Depressionen und andere psychische Probleme: Ein Ratgeber für betroffene Frauen und Angehörige. Kohlhammer  Stuttgart

Selbsthilfegruppe »Schatten und Licht e.V. – Krise nach der Geburt« – www.schatten-und-licht.de

»Bundesinitiative Frühe Hilfen« mit Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten rund um die Geburt – www.fruehehilfen.de

Selbsthilfegruppe »Schatten und Licht e.V. – Krise nach der Geburt« – www.schatten-und-licht.de